Friedemann Brenneis (HG)
Magic
Future
Money
(Un)mgliche Geschichten vom Geld der Zukunft
Klimazertifikate, Erinnerungen, Kryptowhrungen, Wasser, Gebete, gesellschaftlicher Status, reine Energie, abstrakte Zahlenreihen, Seelen, Lebenszeit, akzeptables Sozialverhalten, atomare Partikel, Online-Reputation, Wissen, Organe das Geld der Zukunft knnte viele Formen annehmen. Doch was wren die Folgen und ist es uns das wert?
Im Magic Future Money -Wettbewerb haben 290 Geschichten Antworten auf diese Fragen gesucht. Dies sind die 30 besten.
www.magicfuturemoney.de
Alle Texte stehen unter der Creative Commons -Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de).
Lektorat _ Tanja Giese, Berlin
Layout, Satz und Umschlaggestaltung _Sebastian Bach, Weimar
Coverillustration _ Mathias Barth, Hamburg
Schriften _Fabiol von Lazydogs Typefoundry ; Sugo von Francesco Canovaro & Andrea Tartarelli; Dosis von Edgar Tolentino, Pablo Impallari & Igino Marini; Telidon Ink von Typodermic
Inhalt
Vorab
Was wissen wir bisher ber die Zukunft des Geldes? Leider so gut wie nichts. Das war das ernchternde Fazit eines Vortrags, den ich im Herbst 2020 in Leipzig gehalten habe. Seit mehreren Jahren begleitet mich die Frage nach der Zukunft des Geldes nun schon. Ende 2013 war ich aus journalistischem Interesse auf das Thema Bitcoin gestoen und wollte herausfinden, was es damit auf sich hat. Bitcoin, dieses mysterise Phnomen, das nach ganz anderen Regeln funktioniert, als wir es bisher gewohnt sind, und dabei den Anspruch hat, eine neue Art von Geld zu sein. Eine zeitgeme. Eine zukunftstaugliche. Eine bessere.
Aber stimmt das eigentlich? Bitcoin ist zwar ohne Frage futuristisch, aber ist es tatschlich das Geld von morgen? Oder ist es doch eher nur eine vorbergehende Erscheinung in der bereits Jahrtausende zurckreichenden Historie des Geldes? Ein netter, aber letztlich bedeutungsloser Trend? Andererseits, was wre denn die Alternative? Wenn nicht mit Bitcoin, womit bezahlen wir in 10, in 50 oder in 100 Jahren? Noch immer mit bunt bedruckten Baumwollscheinen, klimpernden Metallmnzen und abstrakten Plastikkarten? Kaum vorstellbar, angesichts der zunehmenden Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts.
Im 20. Jahrhundert hat die Menschheit keine 70 Jahre gebraucht, bis vom ersten bemannten Motorflug der Gebrder Wright mit einem klapprigen Doppeldecker, der sich gerade einmal eine knappe Minute in der Luft halten konnte, mit Neil Armstrong zum ersten Mal ein Mensch in 384.000 Kilometer Entfernung auf dem Mond stand. Das alles mit Hilfe nur eines Bruchteils der Computerleistung, die uns heute zur Verfgung steht. Zur Jahrtausendwende waren handelsbliche Taschenrechner bereits hundertfach schneller als der wichtigste Computer an Bord der Apollo-11-Rakete. In unseren Hosentaschen tragen wir lngst das Millionenfache an Rechenleistung mit uns herum: mchtige Minicomputer vollgepackt mit Sensoren, einfach zu bedienen und jederzeit online.
Wie also wird sich das Medium Geld weiterentwickeln, wenn die Digitalisierung weiterhin in diesem Tempo voranschreitet? Welche Gestalt und Eigenschaften wird Geld im Verlauf des 21. Jahrhunderts annehmen? Welche im 22. Jahrhundert und darber hinaus? Und wie wird es dabei unser Leben und die Gesellschaft beeinflussen? Darauf haben wir bislang keine Antworten.
Dabei sind diese Fragen keineswegs hypothetisch, sondern drngend. Denn auch wenn wir es im Alltag kaum wahrnehmen, befindet sich Geld mitten im digitalen Umbruch und der Kampf um die Deutungs- und Gestaltungshoheit darber hat lngst begonnen. Verschiedene Akteure versuchen dabei, ihre konomischen und politischen Interessen durchzusetzen. Staaten und Banken, die ihren Einfluss und ihre historisch gewachsenen Privilegien als alleinige Geldproduzenten nicht verlieren wollen. Bitcoin soll als freies, offenes und gemeinschaftlich verwaltetes Geld ebendiese Institutionen berflssig machen. Dazwschen stehen private, datengetriebene und rein profitorientierte Unternehmen, denen es vor allem darum geht, ihre Vormachtstellung im Digitalraum auszubauen. Denn Geld als bedeutende gesellschaftliche Infrastruktur ist ein strategisch wichtiges und lukratives Ziel. Wem es dabei gelingt, sich jetzt, im digitalen Umbruch, gut in Position zu bringen, der kann sich langfristig Einfluss und Ertrag sichern.
Doch wissen wir gar nicht, welche Folgen es htte, wenn sich dieses oder jenes Konzept durchsetzt und was eigentlich erstrebenswert wre. Weil wir keine Vorstellung davon haben, wie das Geld der Zukunft idealerweise aussehen sollte. Von einem neutralen Standpunkt aus betrachtet und mglichst unabhngig von konomischen und politischen Einzelinteressen. Einfach deshalb, weil sich bislang kaum jemand ernsthaft damit beschftigt.
So ist das Mandat der Forschungsabteilung der Deutschen Bundesbank auf einen Zeithorizont von gerade einmal fnf Jahren ausgelegt. Weiter nach vorne schaut man nicht. Generell setzen sich konomen und die Finanzindustrie viel mehr mit der Vergangenheit und der Gegenwart auseinander als mit der Zukunft. Wann immer ich in den vergangenen Jahren auf Konferenzen und Branchentreffen nach Experten gefragt habe, die sich mit der Zukunft des Geldes beschftigen, habe ich fast nur fragende Blicke und Schulterzucken erhalten. Aber Vernderung ist eben auch kein sonderlich beliebtes Thema, wenn man zu den Profiteuren des Status quo gehrt. Selbst wenn offensichtlich ist, dass dieser nicht mehr lange Bestand haben wird.
Das hat mich aber dazu gebracht, parallel noch einem anderen Ansatz nachzugehen. Wenn sich diejenigen, die sich professionell mit Geld beschftigen, nicht besonders fr dessen Zukunft interessieren, vielleicht knnte ich ja umgekehrt dort etwas ber das Geld von morgen herausfinden, wo man sich intensiv mit der Zukunft auseinandersetzt in der Science-Fiction. Immerhin sind viele der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die fr uns heute selbstverstndlich sind, lange zuvor bereits Teil futuristischer Geschichten gewesen.
Jules Verne hat schon im 19. Jahrhundert erstaunlich akkurat die Umstnde beschrieben, unter denen eine Reise zum Mond wie die von Neil Armstrong und Kollegen gelingen kann. Auch Drohnen, U-Boote, Videotelefonie und Elektroantriebe tauchen bereits in seinen Geschichten auf. Whrend die Gebrder Wright Anfang des 20. Jahrhunderts noch fest davon berzeugt waren, dass niemals ein Flugzeug den Atlantik wrde berqueren knnen, wissen wir heute, dass H. G. Wells mit seinem in etwa zur gleichen Zeit erschienenen Roman Der Luftkrieg den wenige Jahre spter im Ersten Weltkrieg zum ersten Mal stattfindenden Flugzeugschlachten sehr viel nher gekommen ist.
Was knnen wir also aus der Science-Fiction ber das Geld von morgen lernen? Dass dort auch etwas ber dieses sehr spezifische Thema zu finden sein msse, ist zumindest keine abwegige Annahme. Immerhin ist auch die Kreditkarte keine originre Idee der Finanzindustrie, sondern wurde bereits 1888 in Edward Bellamys Roman Ein Rckblick aus dem Jahr 2000 auf 1887 vorhergesagt.
Doch handelte es sich dabei um eine Ausnahme. Denn auch in der Science-Fiction spielt Geld bislang keine sonderlich groe Rolle. Wenn in der zukunftsorientierten Literatur berhaupt irgendeine Art von Geld erwhnt wird, bleibt meist unklar, welche Form und Eigenschaften es hat, wie es funktioniert und welche Folgen sich daraus fr die Akteure und die Gesellschaft ergeben. Science-Fiction-Geld ist oft nur eine kaum weiterentwickelte Kopie des Konzepts Geld, wie wir es bisher kennen. Statt mit Euro bezahlt man nun allerdings mit Credits oder anderen Einheiten, die einen futuristisch klingenden Namen tragen. Alternativ gibt es auch das Szenario, in dem Rohstoffe und Naturaliengeld eine zentrale Rolle als Zahlungsmittel und Wertspeicher einnehmen. Konzeptionell eigentlich ein Rckschritt ist das aus Autorensicht eine praktische Lsung. Diese historische Form von Geld ist plakativ und konomische Abhngigkeiten lassen sich damit darstellen, ohne dass viel erklrt werden msste. Besonders originell oder wegweisend ist es aber nicht. Insbesondere weil man meist nicht erfhrt, wie es zu diesem Rckschritt gekommen ist. Wenn Computer immer leistungsfhiger werden und der Menschheit geholfen haben, den Weltraum und andere Planeten zu erobern, warum ist die Evolution des Geldes dann dabei komplett auf der Strecke geblieben? Was genau passiert ist, ist auch die Frage, die meist nicht beantwortet wird, wenn es in den Geschichten der Zukunft gar kein Geld mehr gibt, wenn es einfach abgeschafft oder auf irgendeine Weise berwunden wurde. Dabei wre es doch spannend, zu erfahren, wie und warum es so gekommen ist und ob wir diese Entwicklung aus heutiger Sicht fr erstrebenswert halten.