Die Originalausgabe erschien unter dem Titel You Really Got Me. The Story Of The Kinks bei Omnibus Press
Copyright 2011 by Omnibus Press
Copyright 2012 Bosworth Music GmbH, Berlin
(part of the music sales group)
bersetzung: Simone Blass
Redaktion: Rainer Schttle
Satz und Layout: Schwegler Grafix
Coverdesign: Fresh Lemon / Anet Scheuer
EISBN: 978-0-85712-891-1
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Inhalt
Einleitung
Du wirst schon noch dahinterkommen, wie mchtig Amerika ist, du schleimiger Bastard!
Juni 1965: Wir befinden uns hinter der Bhne eines Fernsehstudios in Los Angeles, wo sich Ray Davies von den Kinks und ein US-amerikanischer Gewerkschaftsfunktionr gerade lautstark Beleidigungen an den Kopf werfen. Der Amerikaner verglich die erste US-Tournee der Kinks soeben mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour und ist nun dabei, sie als rote Schlappschwnze und Davies als talentlosen Arsch zu betiteln und damit zu drohen, einen Bericht abzuliefern, der dafr sorgen wrde, dass sie die Ufer seines Landes nie mehr besudelten. Sekunden spter fliegen die Fuste, Davies strmt aufgebracht hinaus, verbarrikadiert sich hinter seiner Hotelzimmertr, denkt daran, was die Amerikaner mit Kennedy und Lee Harvey Oswald gemacht haben, und bekommt hllische Angst vor einem Anschlag der Mafia. Bald darauf kehren die Kinks nach England zurck und lassen eine Spur der Verwirrung und des Hasses zurck. Als sie erneut nach Amerika einreisen drfen, sind die 1960er-Jahre schon fast vorber
In diesen fr die Band verlorenen Jahren festigten die Beatles und die Rolling Stones ihren Ruhm in Amerika, und whrend die Kinks-Nachahmer The Who in Woodstock spielten, begann ihre eigene Bekanntheit langsam zu verblassen. Ruft man sich die groen britischen Bands der 1960er-Jahre ins Gedchtnis, finden sich die Kinks meist erst an vierter Stelle. Doch whrend sich die Stones 1968 berraschend zurckzogen, die Beatles sich 1970 trennten und die Who langsam zu ihrer eigenen aufgedunsenen Parodie verkamen, ist die 40-jhrige Karriere der Kinks eine der musikalisch brillantesten und schillerndsten, aber auch eine, ber die kaum berichtet wird.
Gegrndet um den energiegeladenen, explosiven Kreativkern in Form der Brder Ray und Dave Davies, berstanden die Kinks regelmige Schlgereien, ausschweifenden Sex mit beiden Geschlechtern, Krawalle, Zusammenbrche, Selbstmordversuche und sogar eine Schieerei. Sie hatten kurzzeitig mit den Krays [korrupten Zwillingsbrdern, Gangstern und Nachtclubbesitzern in London, die die Kinks managen wollten], Andy Warhol und Queen zu tun, von Dauer ist jedoch ein musikalisches Vermchtnis, das in seinem Einfluss allein von dem der Beatles bertroffen wird. In einer Phase, in der sie Goldene Singles sammelten 1964 mit You Really Got Me beginnend und bis zu Days aus dem Jahr 1968 reichend , erfanden sie den Heavy Metal, fhrten sie indische Klnge in den westlichen Pop ein, wurden sie zu feinsinnigen Sozialsatirikern, flirteten sie mit der Homosexualitt, sangen sie auf dem Hhepunkt der Psychedelic-Welle von vorstdtischer Durchschnittlichkeit und krnten sie ihr Jahrzehnt mit Waterloo Sunset. Gerade als die Erfolgswelle dieser anderen Bands abebbte, tauchte Ray Davies ab und produzierte eine Reihe von Studioalben, von The Kinks Are The Village Green Preservation Society (1968) bis hin zu Muswell Hillbillies (1971), die sich allerdings schlecht verkauften sorgfltig vergrabene Schtze, die erst jetzt wieder zum Vorschein kommen. Nachdem er mit Arthur (1969) die Rockoper erfunden hatte, verbrachte Ray die frhen 1970er-Jahre damit, ambitionierte Konzeptalben zu schreiben, deren Musik die Kinks als Variet-Musicals auf die Bhne brachten.
Als die Kinks wieder nach Amerika kamen, war bereits Ronald Reagan an die Macht gekommen, und niemand htte geahnt, dass sie ganze Stadien fllen wrden, am wenigsten sie selbst. Der Schock ber den eigenen Triumph fhrte letztlich zu ihrer Zerstrung. Der letzte gemeinsame Auftritt der Kinks fand 1996 in Norwegen statt.
Der gewaltige kulturelle Einfluss der Sechzigerjahre die berhmte Redland-Razzia auf Keith Richards Anwesen und die darauffolgende Seifenoper der Stones um Richards Verurteilung, John und Yoko, die Demonstration gegen den Vietnamkrieg am Grosvenor Square, Jimi und Janis hat sich ungebrochen bis heute erhalten und wird immer wieder neu beschworen. In alldem erscheint die Musik der Kinks wie ein ruhiges Londoner Provinzpub, an dem die Autobahn vorbeifhrt, in dem Ray in der Ecke sitzt, immer noch anonym beobachtet und schreibt. Seine Songs sind der Bodensatz des spteren British Pop, der Nol Coward mit Johnny Rotten verbindet, gleich Bob Dylans revolutionren Stcken, die den Rock in Amerika flankierten whrend Daves gewaltige Riffs zu den Grndungsmotiven Tausender Garagenbands gehrten.
Ray ist 2011 ebenso ein Fremdkrper, wie er es 1964 war. Aber er folgte als Einzelgnger stets rastlos einem Pfad, auf dem er versucht, eine Welt zu beschreiben, der er sich nicht zugehrig fhlt. Wegen seines zerstrerischen Kontrollzwangs blieben Manager, Plattenfirmen, Journalisten und Filmemacher, die versuchten, ihm und seiner Band zu helfen, oft enttuscht und niedergeschlagen zurck. Es ist wie bei einer der Ikonen der rebellischen englischen Arbeiterschicht der frhen Sechzigerjahren, Alan Sillitoes einsamem Langstreckenlufer, der einen Wettbewerb absichtlich verliert, um das Establishment zu rgern. In hnlicher Weise sind Rays eigene, oft absichtlich herbeigefhrte Niederlagen in einer gewissen Weise auch Siege. Er und Dave konnten niemals aufgeben, und ihre gelegentlichen Anpassungsversuche waren eher stmperhaft. In ihrer groartigsten Musik schwingt eine seltsame Verletztheit mit, der Wunsch nach etwas Besserem, das sie an die Vergangenheit oder die Zukunft verloren zu haben glaubten.
In der Literatur ber Amerika und seine Kunst wird klischeehaft immer wieder auf das grne Licht am Horizont in F. Scott Fitzgeralds Der groe Gatsby Bezug genommen, als Symbol fr den unerreichbaren amerikanischen Traum. hnlich ist es mit Village Green der Kinks in England; es ist ein musikalischer Zufluchtsort fr Unangepasste und Unschuldige, in dessen Tracks jedes egoistische Erfolgsstreben zu Davies Klngen drei Minuten lang angehalten wird. Ebenso wie der unglckliche groe Gatsby schlielich (wie der Zeitgenosse der Kinks, Brian Jones) mit dem Gesicht nach unten in einem schbigen Swimmingpool endet, ist der Zufluchtsort der Kinks durch Planierwalzen, Alter und Verfall dem Untergang geweiht, auch wenn sie diese Tatsache mit naiver Donquijotterie in ihren Songs konsequent verleugnen.
Die lebendige, kampfbereite Arbeiterkultur, wie sie die Band verkrpert, hat vielleicht weniger mit der amerikanischen Heimat des Blues gemeinsam, die sie so lange Zeit zu erobern hoffte, als mit den eher derben humanistischen Werken italienischer Filmemacher, in denen die Menschen ungeschnt mit all ihren Eigenarten und Makeln dargestellt werden. Niemand war unvollkommener, eigenartiger, nachsichtiger und entschuldbarer als die Kinks.