Sophie Charlotte (16681705): Die Frau, die das Warum des Warum wissen wollte
Eberhard Knobloch
Portrait of Sophia Charlotte by Friedrich Wilhelm Weidemann, 1705 (Berlin, Schloss Charlottenburg). Image: Bildarchiv Preuischer Kulturbesitz Berlin/ Stiftung Preuische Schlsser und Grten Berlin-Brandenburg/Jrg P. Anders.
Sophie Charlottes Elternhaus, Kindheit und Jugend
Sophie Charlottes Vater Ernst August von Braunschweig-Lneburg (16291698) war der jngste von vier Brdern aus dem Geschlecht der Welfen und hatte deshalb zunchst wenig Aussichten auf eines der welfischen Besitztmer (Gundermann 2005, 3). Nachdem sein zweitltester Bruder Georg Wilhelm die Verlobung mit Sophie von der Pfalz (16301714) gelst hatte, heiratete Ernst August sie 1658 nach einem vertraglich geregelten Brauttausch. Die selbstbewusste Sophie hatte knigliches englisches Blut in den Adern: Sie war die Tochter der dem Hause Stuart entstammenden englischen Prinzessin Elisabeth, eine Tatsache, die sie stolz vertrat.
Die Eheleute lebten zunchst im Schloss Hannover bei Georg Wilhelm, bis sie Ende September 1662 ins Schloss Iburg bei Osnabrck einzogen. Ernst August wurde in dem Jahr evangelischer Frstbischof von Osnabrck. Die beiden ltesten Shne Georg Ludwig und Friedrich August waren inzwischen geboren. So kamen weitere drei Kinder, der Sohn Maximilian Wilhelm, Sophie Charlotte als einzige Tochter am 20. (30.) Oktober 1668 sowie der jngere Bruder Karl Philipp eben dort zur Welt, die jngsten beiden Brder Christian und Ernst August II. auf einer Reise nach Heidelberg bzw. im neuen Schloss von Osnabrck, wo die Familie 1673 einzog (Beuys 2018, 3435).
Im Oktober 1677 erhielt die neunjhrige Sophie Charlotte, die wie ihre Brder anspruchsvoll erzogen wurde und vor allem die Sprachen Franzsisch, Englisch und Italienisch lernte, die Oberhofmeisterin Anna Katharina von Harling als Erzieherin, der spter auch drei Jahre lang der Sohn ihrer Pflegetochter, der sptere Knig Friedrich Wilhelm I., anvertraut wurde.
Als 1679 Ernst Augusts lterer Bruder Johann Friedrich, Herzog in Hannover, starb, erbte Ernst August das Frstentum. Seine Familie zog ins Leine-Schloss nach Hannover, wo er von seinem Bruder den Hofbibliothekar Gottfried Wilhelm Leibniz bernahm. Mit der Erziehung von Sophie Charlotte hatte der Universalhistoriker freilich nichts zu tun (Utermhlen 1990, 50).
Deren Kindheit und Jugend waren von den musikalischen Festen und Auffhrungen ihrer musikbegeisterten Eltern am Hof von Hannover geprgt, eine Tradition, die sie spter in Berlin und im Schloss Lietzenburg selbst auf hohem Niveau fortsetzte. Ihre Eltern, vor allem ihre Mutter Sophie, verfolgten mit ihr verschiedene Heiratsplne, die den bayerischen und franzsischen Hof betrafen, aber fallen gelassen werden mussten. Dagegen kam man mit dem Hohenzollernhof in Berlin berein, Sophie Charlotte mit dem verwitweten Kurprinzen Friedrich III. zu vermhlen. Die Hochzeit der noch nicht einmal sechzehnjhrigen Welfin fand am 8. Oktober 1684 in Herrenhausen statt. Der Schwiegervater Friedrich Wilhelm nahm nicht daran teil. Am 14. November 1684 zog das Brautpaar mit festlichem Geprnge in Berlin ein.
Die Familie der Schwiegereltern
Sophie Charlotte heiratete in eine calvinistische Frstenfamilie der Hohenzollern. Ihr Schwiegervater war Kurfrst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Groe Kurfrst (16201688). Er hatte 1646 in erster Ehe Prinzessin Luise Henriette von Oranien (16271667) geheiratet. Von den fnf Shnen und einer Tochter waren die Shne Wilhelm Heinrich, Heinrich und die Tochter Amalia vor Vollendung des zweiten Lebensjahres gestorben, Kurprinz Karl Emil neunzehnjhrig 1674 (Feuerstein-Praer 2000, 46).
Dadurch wurde Sophie Charlottes Gemahl Friedrich III. (16571713) ungeplant Thronfolger. Der sechs Monate alte Friedrich hatte sich whrend einer Kutschenfahrt seiner Eltern nach Knigsberg durch einen Sturz in der Kutsche an der Wirbelsule verletzt. Dies fhrte lebenslang zu einer Behinderung, die Friedrich durch entsprechende Kleidung so gut es ging zu verbergen suchte. Seine Mutter starb 1667, als er zehn Jahre alt war. Sein Vater heiratete bereits im folgenden Jahr ein zweites Mal, und zwar die verwitwete Herzogin Dorothea von Braunschweig und Lneburg (16361689), mit der er vier Shne und drei Tchter hatte, die in den Jahren 1669 bis 1677 geboren wurden. Da alle Kinder auer der Tochter Dorothea (gest. 1676) das Erwachsenenalter erreichten, fand Sophie Charlotte zum Zeitpunkt ihrer Heirat einen jngeren Bruder und sechs Halbgeschwister ihres Gemahls vor. Die familire Situation war angespannt, erst recht, als der jngere Bruder Ludwig 1687 starb, noch vor der Thronbesteigung Friedrichs III. Dieser verdchtigte seine Stiefmutter, mit Gift nachgeholfen zu haben, um ihren Shnen den Weg zur Macht zu ebnen.
Er selbst hatte 1679 seine Cousine Elisabeth Henriette von Hessen-Kassel (16611683) aus Zuneigung geheiratet, mit der er im Schloss Kpenick bei heute in Berlin lebte, war aber seit dem 7. Juli 1683 Witwer. Seine Gemahlin war mit zweiundzwanzig Jahren an den Pocken gestorben und hinterlie die dreijhrige Tochter Luise Dorothea Sophie. Sophie Charlotte hatte also eine Stieftochter, mit der sie sich Zeit ihres Lebens sehr gut verstand.
Alles in allem hatte es Sophie Charlotte seit ihrer Heirat mit einer schwierigen Lage zu tun. Doch hatten persnliche Befindlichkeiten zurckzustehen, wenn politisch gewollte Heiraten dazu dienen sollten, Herrscherdynastien miteinander zu verbinden.
Die Zeit bis zur Krnung in Knigsberg
Die Erwartung der Mitwelt war klar: Man wartete auf die Geburt eines Thronfolgers. Die ersten vier Jahre ihrer Ehe verbrachten die beiden frisch Vermhlten im Schloss Kpenick, wo Friedrich III. schon mit seiner ersten Frau gelebt hatte. Am 16. Oktober 1685 gebar dort Sophie Charlotte ihren ersten Sohn Friedrich August, der aber bereits am 9. Februar 1686 starb. Vom Mai bis Oktober 1687 begaben sich die jungen Eheleute zur Kur ins bhmische Karlsbad: Sophie Charlotte war das zweite Mal schwanger. Angesichts hsslicher familirer Auseinandersetzungen in Berlin wollte Friedrich nach Hannover weiterfahren, wo seine Gemahlin ihr Kind zur Welt bringen wollte, und weiter nach Kleve, dem westlichen Landesteil des brandenburgischen Kurfrstentums.
Aber sein Vater befahl ihm zurckzukehren. Kurz vor Wolfenbttel kam es auf der Fahrt nach Hannover zur Totgeburt des zweiten Sohnes. Im November 1687 wurde das frstliche Familienzerwrfnis im Potsdamer Schloss offiziell beendet.
Wenig spter, am 9. Mai 1688, starb der Groe Kurfrst: Friedrich III. trat seine Nachfolge an und wurde Kurfrst, seine Gattin Sophie Charlotte Kurfrstin, die zu dem Zeitpunkt das dritte Mal schwanger war. Henriette Charlotte von Pllnitz wurde Mitte Mai ihre Kammerfrau, engste Vertraute und Freundin, empfohlen von Sophie in Hannover und von dieser aus ihrem Hofstaat freigegeben. Diesmal ging alles gut. Am 14. August wurde Sophie Charlottes dritter Sohn Friedrich Wilhelm geboren, ein lebenstchtiger Junge, der die ersten drei Lebensjahre bei der Gromutter in Hannover unter der Obhut von Anna Katharina von Harling aufwuchs. Diese hatte ja bereits seine Mutter Sophie Charlotte betreut. 1713 sollte er als Friedrich Wilhelm I. Nachfolger seines Vaters werden.