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KAPITEL I
Der Zug, der im Schneckentempo durch die Ebenen Nordindiens gekrochen ist, hlt gemchlich, wie ein mdes Tier, vor einem kleinen Bahnhof. Durch einen von der untergehenden Sonne vergoldeten Staubschleier erkennt man hinter einer Schranke eine Gruppe von Kulis und eine verwitterte Rikscha.
Ich werde erwartet. Zwar wre ich viel lieber vllig inkognito hier angekommen, aber das im Westen wenig bekannte Nepal ist noch strenger verboten als Tibet. Mir ist die Reise genehmigt worden. Den Gttern sei Dank! Und den Freunden, die sich dafr eingesetzt haben, meinen Aufenthalt zu erleichtern, bin ich zu Dank verpflichtet, auch wenn trotz ihrer Bemhungen einige Hindernisse meine Bewegungsfreiheit in einem solchen Land zwangslufig einschrnken werden.
Die fr den Transport meines Gepcks engagierten Kulis laden es auf ihre Schultern, und ihr Chef geleitet mich zu der Rikscha. Zwar lohnt es sich kaum, darin Platz zu nehmen, denn der Bungalow, zu dem man mich bringt, liegt ganz in der Nhe des Bahnhofs, aber die Sorge um meine Wrde lsst es wohl nicht zu, dass ich diese kurze Strecke zu Fu zurcklege. Mir ist bereits mitgeteilt worden, dass ich meine Gastgeber nicht antreffen werde; sie sind auf Reisen, aber auf ihre Anordnung hin ist fr mich ein Abendessen vorbereitet worden. Das Anwesen ist in Abwesenheit der Hausherren nicht verwaist, denn der grte Teil der Dienstboten, mit denen sich im Orient all jene belasten, deren gesellschaftlicher Rang auch nur ein wenig ber dem allgemein blichen liegt, ist dageblieben.
Ich habe nur einen einzigen Diener mitgebracht: einen bearer, wie die Englnder sagen, womit sie eine Art Kammerdiener bezeichnen, aber meine Freunde haben vorsorglich noch einen Koch und einen sweeper fr mich eingestellt. Die Rolle des Kochs ist klar; was den Sweeper (im Englischen wrtlich Straenkehrer) angeht, so gehrt er einer niederen Kaste an, den Unberhrbaren. Er wird die Zimmer fegen und auch den Zugang zu meinem Haus wenn ich in einem Haus wohnen werde auerhalb der Zeiten, in denen ich kampiere. Er wird noch andere Dienste leisten, wie Holz hacken, aber seine Hauptaufgabe, fr die er eigens angestellt wurde, besteht darin es ist etwas heikel, davon zu sprechen , die Nachttpfe, Nachtsthle und andere Gefe zu leeren, deren ich mich bedienen werde. Da dies eine Arbeit ist, die einen Hindu verunreinigt, knnen nur die Unberhrbaren sie verrichten.
Auer in sehr groen Stdten gibt es in Indien keine Latrinen mit Wassersplung und Kanalisation, und es ist seltsam, dass an Orten, wo dieses System eingerichtet werden knnte, die Englnder es hufig vorziehen, an dem alten Brauch der Nachtsthle festzuhalten, die sie commodes nennen. Meine geneigten Leser mgen sich nicht zu lustig ber sie machen. Noch vor etwa fnfzig Jahren hie das gleiche Mbelstck in Frankreich garde-robe.
Ich bitte, diese uninteressante und ein wenig unreinliche Abschweifung zu entschuldigen, aber da der Sweeper in meinem Bericht immer wieder auftauchen wird, ist es sinnvoll, den Leser von vornherein ber die Stellung dieses sehr schlichten Wesens zu unterrichten.
Mein Bearer ist ein junger Mann aus guter Familie, den seine nchsten Verwandten nach dem Tod seiner Eltern um sein Erbe gebracht haben. Er stammt aus Tibet, spricht recht gut englisch, nepalesisch und Hindi und dient mir schon seit mehreren Jahren. Sein Name ist Passang.
Whrend ich zu Abend esse, macht Passang mein Feldbett zurecht. Zwar fehlt es in dem Haus, in dem ich mich befinde, nicht an Betten, aber es widerstrebt mir, ein Bett zu benutzen, in dem andere geschlafen haben. Nebenbei weise ich darauf hin, dass dieser Widerwille dazu beigetragen hat, mir die Achtung der Hindus reiner Kasten zu erwerben, doch gleichzeitig muss ich erwhnen, dass sie selbst mit der Zeit ihre alten Regeln immer weniger streng befolgen.
Am nchsten Tag breche ich nach einem leichten Frhstck zwei Eier und zwei Bananen im Morgengrauen auf.
Ein Aufbruch ist stets die Verheiung eines Abenteuers, und als solches begre ich ihn, der mich in ein Land fhren soll, in das zu reisen ich nie geplant hatte. Ein weiteres Mal hatte das malizise Schicksal es unverhofft bernommen, mich zu lenken, wohin es wollte.
Das fr mich bestimmte Befrderungsmittel ist ein Bett. Nun ja, ein Bett nach indischer Art, das heit ein Gestell mit sehr niedrigen Beinen, das mit Gurten bespannt ist; auf diesen breite ich mein Bettzeug aus: eine Matte und Decken. An den vier Ecken dieses Bettes angebrachte Bambusstangen tragen ein Stoffdach, von dem Vorhnge herabhngen. Das Ganze hnelt einem Moskitonetz, mit dem Unterschied, dass der Stoff nicht Tll, sondern ein Baumwollgewebe ist. Dieses Dach und die Vorhnge werden mich vor der Sonne schtzen und mich abschirmen, falls ich unterwegs schlafen mchte. Man hat mich wissen lassen, dass die Etappe lang sein wird.
Zwar wirkt das leichte Schaukeln, in das die Trger mein Lager versetzen, durchaus einschlfernd, aber fr den Augenblick bin ich ganz Auge. Ich halte die Vorhnge offen und betrachte die Landschaft und die wenigen Vorbergehenden.
Als ich tags zuvor bei ruhigem Wetter in Digha Ghat den Ganges berquerte und ein blasser Himmel die Dinge mit zartem Licht umhllte, hatte ich das Gefhl freudiger Erleichterung; mir war, als fielen schwere Kleider, die mich einzwngten, von mir ab, sodass ich frei atmen konnte. Ein mehrmonatiger Aufenthalt in Kalkutta und die Lebensweise, zu der ich dort gezwungen war, auch wenn ich Geselligkeiten mied, hatten mich angestrengt. Jetzt aber jauchzt die geborene Wilde, die ich bin, in der Vorahnung des nahen Dschungels.
Doch noch sind wir nicht im Dschungel. Wir folgen einer langen, von bestellten Feldern gesumten Strae in der Ebene; es ist die Fortsetzung der eintnigen Landschaft, durch die ich in den vorangegangenen Tagen mit der Eisenbahn gefahren bin. Aber im Norden erscheinen, sehr ferne, die schneebedeckten Gipfel des Himalayas, meiner alten, verehrten Freunde: ich begre sie mit Inbrunst.
Auf einem Bett knapp vierzig Zentimeter ber dem Boden zu reisen, ist kein reines Vergngen. Das Stoffdach meines Befrderungsmittels ist so tief angebracht, dass ich mich nicht aufsetzen kann; wohl oder bel muss ich liegen bleiben, whrend die Fe meiner in leichtem Trab laufenden Trger Staubwolken aufwirbeln, die auf mich niedergehen.
Im Versuch, mich zu schtzen, habe ich mich in den sehr langen safran-orangefarbenen Musselinschal meines religisen Gewands gewickelt, das ich auf diese Reise mitgenommen habe.
So eingemummt komme ich mir vor wie eine jener Leichen, die von den Hindus zur Verbrennungssttte getragen werden. Bei meinem Aufbruch hat mir der Grtner des Bungalows, in dem ich die Nacht verbrachte, Blumen geschenkt, die jetzt, auf meinem ausgestreckten Krper liegend, diesen makabren Eindruck noch verstrken.
Die Orientalen knnen nicht schweigend arbeiten; sie mssen ihre Mhen durch irgendein Gerusch rhythmisch begleiten. Meine Trger singen eine Art respondierender Litanei:
He! e he!
O
Ai he
Hum hum
Gho o go
He e
Hai fa
Hum hum!
Ich verbrge mich nicht fr die Orthographie; ich erkenne kein einziges Hindi-Wort in diesem Gedrhn von Silben und finde keinen Sinn darin, aber Passang, der hinter mir in einer Art Hngematte getragen wird, antwortet mir auf meine Frage, die Litanei bedeute etwa: Vorwrts! Voran!
Sicher eine reine Vermutung von ihm, immerhin ist sie plausibel.
Mag sein, doch der Rhythmus und die Melodie hneln auf sonderbare Weise dem Singsang der Araber von Tunis, wenn sie einen Toten wegtragen
Hin und wieder bringen die Trger ihre Ermdung durch so etwas wie ein Stogebet an Rma, ein Avatar des Gottes Vishnu, zum Ausdruck.
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