Harald Schndorf
Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts
Grundkurs Philosophie 8,2
5., berarbeitete und erweiterte Auflage
Verlag W. Kohlhammer
5., berarbeitete und erweiterte Auflage 2016
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W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-026392-5
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Inhalt
Vorwort
Der vorliegende Band Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts schildert die Geschichte der Philosophie der beginnenden Neuzeit bis einschlielich Immanuel Kant. Im Anschluss an Kant werden auch die philosophischen Strmungen behandelt, die sich unmittelbar an ihn anschlieen (Kantianismus, Neukantianismus) und aus dieser Tradition hervorgehen (Wertphilosophie), whrend die Philosophie des Deutschen Idealismus dem Band Philosophie des 19. Jahrhunderts vorbehalten ist. Das Gewicht der Darstellung liegt auf der Herausarbeitung der Grundgedanken der Philosophen, deren Einfluss historisch bedeutsam und prgend wurde.
Die genauen Angaben der Werke der besprochenen Autoren und der wichtigen Literatur ber sie finden sich am Ende des Bandes, wobei im Bedarfsfall die fr die Zitate benutzten Werkausgaben durch ein Sternchen (*) vermerkt sind, was aber nicht notwendigerweise bedeutet, dass die betreffenden bersetzungen immer unverndert oder aus der neuesten Auflage bernommen wurden. Die deutschen bersetzungen von fremdsprachigen Titeln und Zitaten entsprechen nicht immer denen, die sich in den gngigen deutschen Werkausgaben finden. Whrend nmlich in lateinischen berschriften das Thema mit de (ber) eingeleitet wird, verwendet man bei einer deutschen Titelangabe normalerweise ein Stichwort ohne einleitende Prposition, z. B.: De Homine (Der Mensch).
In den ersten beiden Auflagen wurden die Einleitung, der Abschnitt Rationalismus und das Literaturverzeichnis von Harald Schndorf verfasst. Autor des Textes des gesamten brigen Textes der ersten beiden Auflagen ist Emerich Coreth. Fr die 3. Auflage wurden Text und Bibliographie berarbeitet und um die Hlfte des bisherigen Umfangs erweitert. Smtliche nderungen und Erweiterungen gegenber den vorigen Auflagen stammen von Harald Schndorf.
Die 5. Auflage wurde nochmals durchgesehen, zum Teil nicht unerheblich berarbeitet und erweitert. Hierbei haben Maximilian Grber und Anselmo Anduy Vu mitgearbeitet.
Bei den Literaturangaben zu den einzelnen Abschnitten werden philosophiegeschichtliche Werke wie Brhier, Chevalier, Copleston, Erdmann, Fischer, Hirschberger, Hffe, Rd, Speck, (der neue) berweg, Vorlnder oder Windelband (/Heimsoeth) nicht eigens angefhrt.
Literatur: Rombach 1981
Einleitung
Mit den groen Philosophen des 17. Jahrhunderts beginnt die neuzeitliche Philosophie im vollen Sinne des Wortes. Auch wenn die Denker der damaligen Zeit ihre berlegungen gerne und nicht ohne Berechtigung als einen radikalen Neuanfang verstehen, so reichen die Wurzeln dieses Denkens doch bis tief ins ausgehende Mittelalter hinein. Eine Vielzahl geistesgeschichtlicher Faktoren hat zur Entstehung des neuzeitlichen Denkens beigetragen. In einer zusammenfassenden Skizze sollen darum die wichtigsten Faktoren des geistigen Umbruchs genannt werden, der sich in der Zeit vom 14. bis zum 17. Jahrhundert in Europa vollzieht und den bergang zur Neuzeit bahnt.
Man kann die wichtigsten Vernderungen mit wenigen Worten wie folgt charakterisieren: Die berkommene, hierarchisch gestufte Ordnung der Wirklichkeit, wie sie erlebt und verstanden wird, zerbricht mehr und mehr und macht zugleich einer Auffassung Platz, wo alles gleichartig nebeneinander steht. In der Naturwissenschaft fhrt dies zu einer mathematisch-quantitativen Methode, die Welt zu untersuchen und technisch nutzbar zu machen. Im Bereich der Werte und berzeugungen bedeutet es, dass der Einzelne fr seine Entscheidungen mehr und mehr auf sich selbst gestellt ist. Dadurch wchst eine strkere Betonung des Individuums und seiner persnlichen Freiheit, aber es erweist sich auch die Notwendigkeit, Methoden zu finden, die es dem Einzelnen erlauben, in Zweifelsfllen zu persnlicher Gewissheit und verantwortlicher Entscheidung zu gelangen.
Literatur: Blumenberg 1996; Mittelstra 1970
1. Zerbrechen bisheriger Ordnungen
Bei allen Schwierigkeiten und Spannungen im Einzelnen war es im Hochmittelalter weitgehend gelungen, in Europa eine strukturierte kulturelle und gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, der ein differenziertes Weltbild entsprach, das auf Gott als seinen letzten Einheitspunkt bezogen war. Die Einheit des Reiches, der Kirche und der stndischen Feudalgesellschaft konnte aber im ausgehenden Mittelalter nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Einheit der abendlndischen Kirche zerbricht durch die Reformation endgltig. Damit hrt auch die Identitt des Christentums mit der einen, gesellschaftlich verfassten Kirche im abendlndischen Kulturraum auf. Es gibt jetzt verschiedene Konfessionen, und die Entscheidung fr die Zugehrigkeit zu einer von ihnen trifft der Einzelne oder oft genug sein jeweiliger Landesherr.
Das Scheitern Kaiser Karls V. bei seinen Einigungsbemhungen machte die Schwche der Zentralgewalt im Reich offenkundig. Die aufstrebenden Frsten und Nationalstaaten konnten mit Hilfe der konfessionellen Gegenstze ihre Macht ausbauen. Zum anderen wurde die Stellung der Familien der Hocharistokratie zunehmend von der wirtschaftlichen Macht der in den Adel nachdrngenden reichen Brger, vornehmlich aus den selbstbewussten freiheitlichen Handelsstdten, in Frage gestellt. Schlielich zeigten die Bauernaufstnde, dass die berkommene stndische Ordnung nicht mehr fraglos hingenommen wurde.
Das geistig-kulturelle Gefge Europas wurde aber nicht nur im Innern erschttert, sondern auch nach auen aufgebrochen. Bisher hatte man es nach auen hin nur mit dem Islam zu tun, der wie das Christentum monotheistisch und von griechischer Philosophie geprgt war. Nun konfrontieren neuentdeckte Kontinente und Kulturen (Amerika, Ferner Osten) mit bisher unbekannten Religionen und Weltbildern. Am einschneidendsten drfte allerdings der Umsturz des geozentrischen Weltsystems gewesen sein, wovon noch die Rede sein wird.
In der Philosophie lsen Voluntarismus und Nominalismus , deren Hauptvertreter in der Franziskanerschule zu finden sind ( Duns Scotus , 1266 bis 1308; Wilhelm von Ockham , ca. 12851349), die eindeutige Seins- und Wertordnung auf. Die Lehre vom Vorrang des Willens und der Liebe sowie ein extremes Verstndnis der Freiheit Gottes verbanden sich mit der Leugnung echter begrifflicher Wesenserkenntnis (Universalienstreit). Unter diesen Voraussetzungen bot die Schpfungsordnung dem Menschen keinen zuverlssigen Halt und Rahmen mehr.
Thomas von Aquin hatte Sein als einen analogen Begriff verstanden, d. h. als einen Begriff, der nicht immer exakt dieselbe Bedeutung hat, sondern verschiedene Grade an Vollkommenheit umfasst: nur Gott ist vollkommenes Sein, whrend den Geschpfen das Sein nicht in derselben vollkommenen und umfassenden Weise, sondern in geringerer und unterschiedlicher Abstufung zukommt. Scotus lehrt hingegen einen univoken Seinsbegriff, der rein formal noch ber dem Unterschied zwischen Gott und den Geschpfen steht, und die Kommentatoren des Aquinaten verstehen unter Sein bald nur noch die bloe Existenz, was im Verlauf der Neuzeit (erstmals wohl ausdrcklich bei Spinoza) zur Ersetzung der gestuften Vollkommenheiten durch gleichrangig nebeneinander stehende Sachgehalte (realitates) fhren wird.